22. September, 2017
0„Loveparade“-Film-Produzent Valentin Holch: „…und kommt kaputt zurück“
22. September 2017 – Es war ein Unglück, das es in diesem Ausmaß in Deutschland noch nicht gegeben hatte: Bei der Loveparade in Duisburg kam es am 24. Juli 2010 zu einer Massenpanik. 21 Menschen starben, mehr als 540 wurden teils schwer verletzt. Fragen nach der Schuld werden bis heute in einem Strafverfahren geklärt. Produzent Valentin Holch (Foto) von der win win Film-, Fernseh- und Mediaproduktion erzählt nun in seinem Drama „Das Leben danach“ die fiktive Geschichte einer jungen Frau, gespielt von „Fack ju Göhte“-Star Jella Haase, deren Leben sich durch die Katastrophe grundlegend verändert hat. Der Film feiert seine Premiere am Mittwoch, den 27. September im Ersten. Im Interview mit smalltalk spricht Valentin Holch über die Hintergründe der Produktion und erklärt, was ihn als Filmemacher antreibt.
smalltalk: Herr Holch, wissen Sie noch, was in Ihnen vorgegangen ist, als Sie im Sommer 2010 vom Loveparade-Unglück hörten?
Valentin Holch: Mich hat das total geschockt und betroffen gemacht. Man ist sozusagen zu einer Party geladen und kommt davon nicht mehr zurück.
smalltalk: In Ihrem Film „Das Leben danach“ behandeln Sie die Katastrophe aus Sicht einer Betroffenen. Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, dieses Thema zu bearbeiten?
Valentin Holch: Mich hat das Unglück nicht losgelassen und mein Job ist es, Filme zu machen. Ich wollte für eine Geschichte einen Ansatz finden, der nicht die Katastrophe an sich im Zentrum hat. Diese ist ja selbst ein irrsinnig komplexes Geschehen. Stattdessen wollte ich das Ganze noch mal in ein anderes persönlicheres Licht rücken. Also bin ich mit meiner Idee zu Eva Zahn und Volker A. Zahn (die verantwortlichen Drehbuchautoren; Anm. d. Red.) gegangen, mit denen ich seit vielen Jahren in Kontakt bin. Die beiden haben sich dann sehr intensiv mit der Katastrophe beschäftigt. Sie haben mit Betroffenen gesprochen etc. Aus diesen Gesprächen haben sie eine fiktive Geschichte entwickelt. Der WDR hat dann sehr schnell gesagt, dass er dabei ist.
smalltalk: Können Sie die Handlung kurz zusammenfassen, ohne zu viel zu verraten?
Valentin Holch: Es ist die Geschichte einer jungen Frau namens Antonia, die ein Opfer der Loveparade-Katastrophe ist und mit ihrem ganzen Zorn auf ihr Leben danach durch die Welt geht. Sie leidet, wie viele andere Betroffene auch, unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Plötzlich trifft sie auf den Taxifahrer Sascha, der sie versteht. Und sie beginnt, sich in ihn zu verlieben – bis sie herausfindet, dass Sascha seinen Teil zu der Katastrophe beigetragen hat. Ab da beginnt sie, ihn zur Wahrheit zu zwingen.
„Die Figur Antonia ist ein Puzzle aus vielen Eindrücken“
smalltalk: Steht das Schicksal der Hauptfigur Antonia, gespielt von Jella Haase, beispielhaft für das Trauma, das viele Besucher der damaligen Katastrophe bis heute verarbeiten müssen?
Valentin Holch: Nun, wir hoffen, dass wir dieses Thema möglichst realistisch dargestellt haben. Die Figur Antonia ist ein Puzzle aus vielen Eindrücken, die Eva und Volker Zahn im Laufe ihrer Recherche gesammelt haben. Regisseurin Nicole Weegmann und Jella Haase haben in vielen Gesprächen und Proben diese Figur lebendig gemacht. Vor allem bei der Erarbeitung der Rolle haben uns die Eheleute Harmut und Sybille Jatzko beraten. Die beiden sind Katastrophenopfer-Helfer und Experten bei posttraumatischen Belastungsstörungen und haben das Drama der Loveparade von Beginn an therapeutisch begleitet.
smalltalk: Wie sind Sie an die betroffenen Menschen herangekommen?
Valentin Holch: Die Betroffenen der Loveparade-Katastrophe sind über die sozialen Netzwerke gut miteinander verknüpft. Wir haben über die Seelsorger und auch offizielle Anlaufstellen mit ihnen Kontakt aufgenommen. Das war vor allem die Arbeit der beiden Autoren.
smalltalk: Bei Katastrophen wie diesen stehen oft vor allem die Todesopfer im Mittelpunkt. Aber was ist mit denen, die mit dem Leben davonkommen sind? Wird ihnen möglicherweise zu wenig Beachtung geschenkt?
Valentin Holch: Meine persönliche Meinung: auf jeden Fall! Die allgemeine Bestürzung währt eine vergleichsweise kurze Zeit, aber die Schäden dauern bei den Betroffenen selbst an. Manchmal ein ganzes Leben lang.
Jella Haase und Martin Brambach in „Das Leben danach“. (Foto: win win Film-, Fernseh- und Mediaproduktion)
„Man wird auf eine Party geladen und kommt kaputt zurück“
smalltalk: Was hat Sie an den Geschichten dieser Menschen besonders bewegt?
Valentin Holch: Man wird auf eine Party geladen und kommt kaputt zurück. Duisburg zeigt aber auch: Was menschliche Hybris anrichten kann und in diesem Fall definitiv angerichtet hat, ist schon beachtlich. Obwohl ich gar nicht persönlich von der Katastrophe betroffen bin, hat mich das Schicksal dieser Menschen nicht losgelassen. Vielleicht, weil ich bei den ersten Loveparades in Berlin mitgetanzt habe.
smalltalk: Die Schuldfrage und die Frage nach der Verantwortung klammern Sie in „Das Leben danach“ bewusst aus.
Valentin Holch: Ja, sonst wäre das ein ganz anderer Film geworden. Außerdem war zu Beginn unserer Arbeit überhaupt nicht abzusehen, wie die juristische Aufarbeitung laufen wird. Ich freue mich, dass der Prozess zugelassen wurde. Den Betroffenen und den Hinterbliebenen wird damit spät Genugtuung verschafft. Aber die Beurteilung der Schuld möchte ich dann doch den Gerichten überlassen.
smalltalk: Ihre Fernseh- und Mediaproduktionsfirma heißt „win win“. Wofür steht dieser Name im Fall von „Das Leben danach“?
Valentin Holch: Produzieren funktioniert dann am besten, wenn alle Beteiligten zu 100 Prozent an einem Strang ziehen. Mensch für Mensch sind bei „Das Leben danach“ einfach tolle Leute mit an Bord gekommen. Eva und Volker Zahn und ich waren uns schnell einig, wie wir diese Geschichte erzählen wollen. Lucia Keuter als verantwortliche Redakteurin des WDR hat von Anfang an unsere Vision geteilt. Nicole Weegmann in der Regie auch. So ist dann Alexander Fischerkoesen als DOP (Director of Photography; Anm. d. Red.) dazugestoßen. Und er hat großartige Bilder geschaffen. Wir hatten mit Petra Klimek eine sensationelle Ausstatterin. Florian Drechsler hat tolle Arbeit im Schnitt geleistet. Ohne all diese und viele andere Mitarbeiter wäre „Das Leben danach“ nicht so ein runder Film geworden. Das heißt nicht, dass man immer einer Meinung war, aber es ging zu jedem Zeitpunkt dieses Projekts immer um die Sache. Das ist für mich eine Win-win-Situation. Das klappt nicht immer – aber in diesem Fall hat es geklappt.
„‚Neues aus Büttenwarder‘ ist eines der meistunterschätzten Formate Deutschlands“
smalltalk: Als Produzent haben Sie schon die unterschiedlichsten Formate verwirklicht, neben Comedy-Sendungen wie „Wir müssen reden“ für Sat.1 oder Thriller wie „Gonger“ für ProSieben sind Sie auch verantwortlicher Produzent der NDR-Kultserie „Neues aus Büttenwarder“. Welche Themen reizen Sie generell am meisten?
Valentin Holch: Alle Projektentscheidungen sind im Grunde Bauchentscheidungen. Ich frage mich: Interessiert mich das persönlich? Und wenn ja, warum? Bei „Das Leben danach“ war es die Katastrophe, die ja wirklich stattgefunden hat. Bei einer Comedy-Entwicklung mit Matze Knop ist es hingegen der Künstler und die Chance, mit ihm etwas anderes zu machen. „Neues aus Büttenwarder“ betreue ich für meine Kollegen von der Polyphon, mit denen ich seit Jahren sehr eng und großartig zusammenarbeite. Die Serie ist meines Erachtens eines der meistunterschätzten Formate Deutschlands. Seit 20 Jahren auf Sendung, von einem Autor erfunden und geschrieben und immer noch lustig und populär. Ich liebe diese Figuren und mich reizt an diesem Format einfach alles.
smalltalk: Was sind Ihre nächsten Projekte?
Valentin Holch: Ich arbeite an vielen Projekten, die sich in sehr unterschiedlichen Stadien befinden. Ganz aktuell habe ich für meine Berliner Kollegen der Polyphon, mit denen ich auch „Das Leben danach“ umgesetzt habe, deren Erfolgs-Kinderserie „Tiere bis unters Dach“ als verantwortlicher Produzent übernommen. Ich hatte bisher noch kein Kinderprogramm produziert. Das ist eine tolle Herausforderung. Weiterhin arbeite ich an einem Remake der koreanischen Blockbuster-Komödie „Miss Granny“, ein Kinoprojekt mit Nadine und Norbert Keil. Reinste Bauchentscheidung! Ein Film zum Lachen und Weinen. Aber die Finanzierung dauert ewig. Oder das Projekt „Lost in Ost“, auch ein Kinofilm, von Matthias Lehmann und mit Lars Montag als Regisseur. Da braucht man für die Verwirklichung einen sehr langen Atem. Mit der Autorin Sylvia Leuker arbeite ich an einer Geschichte über Paralleljustiz in Deutschland, um nur ein paar der Ideen anzureißen, die mich beschäftigen.
smalltalk: Das klingt sehr spannend. Wir wünschen Ihnen damit weiterhin viel Erfolg und bedanken uns für das Gespräch.
Cast und Crew von „Das Leben Danach“ bei der Premiere auf dem Filmfest München (v.l.): Valentin Holch, Susanne Bähre, Antonelle Di Meo, Barbara F. Schar, Gebhard Henke, Lucia Keuter, Jella Haase, Carlo Ljubek, Nicole Weegmann, Volker A. Zahn, Martin Brambach, Marc Schötteldreier, Eva Zahn, Meike Schötteldreier (Foto: win win Film-, Fernseh- und Mediaproduktion)
Das Interview darf für redaktionelle Zwecke mit Quellenangabe „smalltalk/Kick-Media“ genutzt werden.
Valentin Holch Foto © win win Film-, Fernseh- und Mediaproduktion