5. November, 2020
0Dr. Sandra Köhldorfer: Singles von Lockdown besonders betroffen
Durch ihre Auftritte als Beziehungs- und Matching-Expertin in TV-Sendungen wie „Hochzeit auf den ersten Blick“ (Sat.1) ist Dr. Sandra Köhldorfer einem großen Publikum bekannt. Die österreichische Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin führt eigene Praxen in Berlin und Graz. Im smalltalk-Interview spricht Köhldorfer über Liebe und Single-Dasein in Zeiten von Corona und über ihr neues Buch „Das Paar in dir muss Liebe finden“, das am heutigen 5. November veröffentlicht wird. Darin geht es u.a. um die Frage, warum es vielen Menschen immer schwerer fällt, eine echte Bindung zum Partner aufzubauen, und warum oftmals voreilig die Trennung als Ausweg aus einer nicht zufriedenstellenden Beziehung gesucht wird.
Frau Dr. Köhldorfer, gerade ist in Sat.1 die neue Staffel von „Hochzeit auf den ersten Blick“ angelaufen. Zum Auftakt war sogar geplant, eine Live-Hochzeit auszustrahlen, was aufgrund der aktuellen Corona-Maßnahmen dann abgesagt wurde. Was ist diesmal noch alles anders?
Dr. Sandra Köhldorfer: Hinter der Kamera war vieles anders, weil wir uns strikt an die Corona-Regeln gehalten haben. Natürlich mussten wir deshalb einige Male umdenken, zum Beispiel die Einzelgespräche in der Analyse-Phase via Videocall abhalten und so weiter. Ich kann mir aber vorstellen, dass man als Zuseher so gut wie nichts von den veränderten Bedingungen beim Dreh bemerkt – was bei einem Reality-Format erstaunlich und beachtlich ist.
Überhaupt haben die Ereignisse des Jahres 2020 die Pläne so vieler Paare und Hochzeitsplaner durchkreuzt. Welche Folgen sehen Sie als Therapeutin durch diese durch Corona erzwungene Ehelosigkeit auf die Gesellschaft zukommen? Und was können Singles tun, um in diesen Zeiten nicht depressiv zu werden?
Dr. Sandra Köhldorfer: Die zunehmende Ehelustlosigkeit ist schon seit Jahrzehnten im Gange. Mehr Scheidungen bei gleichzeitig weniger Eheschließungen – das ist auch unabhängig von Corona so. Aber egal, ob Paare verheiratet sind oder „nur“ zusammenleben: Wir sehen, dass Menschen in stabilen und glücklichen Partnerschaften nicht nur weniger Isolationsgefühle haben, sondern auch weniger Ängste. Eine Ehe oder eine gut funktionierende Beziehung ist schon zu „normalen“ Zeiten der beste Protektor für die körperliche und seelische Gesundheit. Durch geistigen Austausch und körperliche Nähe kommt es weniger zu Einsamkeit und Trostlosigkeitsgefühlen während des Lockdowns.
Erste Studien zeigen bereits, dass Depressionen Corona-bedingt deutlich zunehmen, psychische Störungen verstärken sich durch die Isolation. Singles sind von den virusbedingten Einschränkungen, dem fehlenden körperlichen Kontakt, natürlich besonders betroffen. Für sie ist die Qualität ihres sozialen Netzwerkes enorm bedeutsam. Es ist wichtig, dass sie dieses besonders gut pflegen und hier auch selbst initiativ den Kontakt und Austausch lebendig halten. Außerdem sollten Singles diese Zeit nutzen, sich auf sich selbst zu besinnen, innerliches Wachstum durchzumachen. An der Liebes- und Beziehungsfähigkeit lässt sich gut arbeiten, mithilfe meines Buches auch allein zu Hause. Das ist die Grundlage, dann mit einem passenden Partner in eine glückliche Ehe durchstarten zu können.
„Die Beziehung zwischen unserer Mutter und unserem Vater war das Trainingslager für unsere eigenen Beziehungen“
Womit wir beim Thema wären, in dieser Woche erscheint Ihr neues Buch „Das Paar in dir muss Liebe finden“. Was hat es mit dem titelgebenden „Paar in dir“ auf sich?
Dr. Sandra Köhldorfer: In meiner langjährigen Psychotherapie-Praxis und durch die Arbeit bei „Hochzeit auf den ersten Blick“ habe ich ganz klar erkennen können: Wie jemand in einer Partnerschaft interagiert, beruht auf unserem „inneren Paar“, der früh erlebten Paarbeziehung unserer Eltern. Wir haben in unserer Kindheit über die ersten zehn Lebensjahre hinweg beobachtet, wie Liebe gelebt wird. Die Beziehung zwischen unserer Mutter und unserem Vater – oder anderen prägenden Vorbildern – war das Trainingslager für unsere eigenen Beziehungen. Unsere Beobachtungen und Erlebnisse werden zu einem Introjekt, das in uns abgespeichert ist, gleich einem inneren Arbeitsmodell. Solange das innere Paarbild ein negatives ist, neigen wir dazu, es zu wiederholen, auf einen Partner zu projizieren und dadurch unglückliche Beziehungen zu re-inszenieren. Um das innere Paar ins Positive abzuwandeln, müssen wir es uns bewusst machen – und können es dann erfolgreich umprogrammieren. Im Buch zeige ich anhand von Übungen ganz konkrete Wege auf, wie das „Paar in dir“ zu einer positiven dynamischen Beziehungsgrundlage werden kann.
Sie beschreiben in dem Buch diverse Fallbeispiele. Nach welchen Kriterien haben Sie diese ausgewählt? Und: Handelt es sich dabei um konkrete Fälle, die Sie in Ihrer Praxisarbeit erlebt haben?
Dr. Sandra Köhldorfer: So individuell Menschen auch sind – bestimmte stabile Muster wiederholen sich immer wieder. Ich habe jene ausgewählt, die laut Forschungen der Paarwissenschaft sowie meinen Praxiserfahrungen am häufigsten im Zusammenhang mit „Unglück in der Liebe“ auftauchen. Also Persönlichkeitsfaktoren oder Bindungstypen, bei denen es am häufigsten zu Scheidungen oder Trennungen kommt. Und anhand der verfremdeten Fallbeispiele schildere ich, wie diese ihre Kernkonflikte überwinden können und es schaffen, ein glückliches Liebesleben zu haben.
„Nicht nur gemeinsam zum Aids-Test, sondern auch zum Corona-Test, bevor man sich das erste Mal küsst“
Zum Schluss noch mal eine Frage zur Liebe in den Zeiten von Corona: Wie sieht eigentlich ein Corona-konformes Date im „Lockdown light“ aus?
Dr. Sandra Köhldorfer: Es kann sogar eine große Chance darin liegen, gerade jetzt jemanden kennenzulernen. Wie ich das meine? Egal, ob der potenzielle Partner aus dem Freundeskreis stammt oder ob man ihn beim Online-Dating kennenlernt – da es weniger Ablenkungen gibt, steht die Persönlichkeit eines Flirts im Vordergrund. Der Lockdown bietet die Gelegenheit, jemanden richtig kennenzulernen, sich über die jeweiligen Interessen, Werte und Wünsche des anderen klarzuwerden, eine tiefergehende emotionale Verbindung aufzubauen, bevor körperliche Intimitäten ausgetauscht werden. Im Idealfall geht man in Zeiten von Corona nicht nur gemeinsam zum Aids-Test, sondern auch zum Corona-Test, bevor man sich das erste Mal küsst.