Wahrheit oder was?
Neulich konstatierte Markus Söder bei den Lokalrundfunktagen in Nürnberg wörtlich: Der private Lokalfunk „leistet gleiches Niveau wie die höchsten Öffentlich-Rechtlichen“. Ernsthaft? Oder anders gefragt: Entspricht das der Wahrheit? Kick-Media-Vorstandschef Alexander Elbertzhagen hat da seine Zweifel und fragt sich ganz grundsätzlich: Was ist Wahrheit?
Liebe Freundinnen und Freunde des smalltalk,
was ist Wahrheit? Die Frage ist so alt wie die Menschheit. Da gibt es jede Menge philosophische Antworten. Aber vielleicht kann man sich darauf einigen, dass zum Beispiel eine Aussage wahr ist, wenn das, was sie aussagt, mit dem, was in der Welt ist, übereinstimmt. Ob das dann der Fall ist, lässt sich zwar nicht immer auf den ersten Blick beurteilen, aber zum Glück gibt es viele Dinge, die offensichtlich bzw. einleuchtend oder evident sind. In jedem Fall ist Wahrheit etwas anderes als Meinung. Doch genau das gerät seit einiger Zeit massiv durcheinander. Und das spüren wir in den Medien besonders stark.
Spätestens seit Donald Trumps erster Amtszeit wird die Darstellung von dem, was ist, und dem, was aus der Sicht eines bestimmten Akteurs sein sollte (auch wenn es ganz und gar nicht der Wahrheit entspricht), zunehmend verwischt. Immer häufiger ist von „fake news“ die Rede. Im Unterschied zu „real news“. Oder es geht um „Alternative Fakten“. Was für fürchterliche Ausdrücke!
„Je weiter sich eine Gesellschaft von der Wahrheit entfernt, desto mehr wird sie jene hassen, die sie aussprechen“, heißt es bei George Orwell, der in seinem Jahrhundertroman „1984“ beschreibt, wie Machthaber Lüge zur Wahrheit und Wahrheit zur Lüge modellieren. In unserer Gegenwart werden Journalistinnen und Journalisten, die ihrem Job auf der Basis von Rudolf Augsteins Maxime „Sagen, was ist“ nachgehen, mittlerweile auch hierzulande mitunter massiv angefeindet. Trotzdem machen sie weiter. Und das ist gut so. Denn wir brauchen die Wahrheit. Möglichst objektiv, gut begründet und frei von Sensationsgier präsentiert. Ich denke, dass wir das aushalten.
Laut dem in dieser Woche veröffentlichten „Reuters Institute Digital News Report 2025“ sind die öffentlich rechtlichen Nachrichtenmarken „Tagesschau“ und „heute“ trotz allem weiterhin diejenigen, denen die Menschen in Deutschland am meisten vertrauen. Grundsätzlich nannten 43 Prozent der für den Report befragten Erwachsenen das Fernsehen als wichtigste Nachrichtenquelle. Dicht dahinter befindet sich das Netz mit 42 Prozent. Zu bedenken ist allerdings: Der Anteil der Menschen, die den Nachrichten „im Allgemeinen“ vertrauen, liegt der Studie zufolge bei lediglich 45 Prozent.
Und noch eine andere Zahl fand ich interessant: 71 Prozent der Befragten gaben laut dpa an, Nachrichten „mindestens gelegentlich“ aus dem Weg zu gehen. Das sind fast drei Viertel! Einer Mehrheit ist offenbar das, was sie da sehen, hören und lesen schlichtweg zu negativ. Und es ist ja auch viel, was da an Informationen auf uns einprasselt. „Too much information driving me insane“, sangen The Police schon in den 80ern.
Für die meisten der Befragten geht es bei diesem Verzicht auf Nachrichten um reinen Selbstschutz. Es geht um eine Auszeit von Krisen, Krieg und Katastrophen. Sie wollen sich durch diese Art des Detoxing einfach ein „bisschen wohler“ fühlen, so die Studie. Insgesamt aber wissen viele auf einmal nicht mehr, was sie glauben sollen. Genau dieses Gefühl befördert die gefürchtete Blasenbildung. Einzelne Menschen und gesellschaftliche Gruppen kapseln sich ab. Der gute alte Meinungsaustausch versiegt.
Dass RTL in Hamburg gerade jetzt das sogenannte Quality Board der Faktenchecker für Marken wie „Stern“, „Geo“ oder „Art“ zum 1. August dichtmacht, ist auch und gerade vor diesem Hintergrund kein gutes Zeichen. An die Stelle versierter Journalisten tritt jetzt was? Eine KI? Algorithmen, die vorgeben, was wahr und falsch ist und uns vermeintlich intelligent, verbrieft und sicher durch die Klippen des Lebens manövrieren?
Auch auf der öffentlich-rechtlichen Seite werden immer mehr klassische Informationsquellen weggespart. Politiker machen Druck. Weil sie selbst unter Druck stehen. So behauptete CSU-Chef Markus Söder kürzlich bei den Lokalrundfunktagen in Nürnberg laut dpa, der private Lokalfunk „leistet gleiches Niveau wie die höchsten Öffentlich-Rechtlichen“. Mal abgesehen von der sprachlichen Merkwürdigkeit ein ziemlich kecker Vergleich. Aber steile Thesen wie diese ist man ja vom Ministerpräsidenten des Freistaats gewohnt.
Fest steht: Gerade jetzt brauchen wir die Wahrheit. Ganz einfach, um in einer immer konfuseren Welt zurechtzukommen. Die Grundlage hierfür bleibt weiterhin u.a. ein Journalismus, der sagt, was ist. Klar, verständlich, glaubwürdig. Auch wenn es unbequem ist. Wir müssen uns ein Bild machen und abwägen können. Um uns eine Meinung zu bilden – auf der Basis von Wahrheit. Und letztlich auch, um bei Wahlen eine Entscheidung fällen zu können. Nach bestem Wissen und Gewissen.
Einstweilen wünsche ich Ihnen ein weiterhin schönes Wochenende!
Alexander Elbertzhagen
(Herausgeber smalltalk)