Vom Deutschen Fernsehpreis zur pan-europäischen Plattform
In der kommenden Woche führt Barbara Schöneberger in Köln durch die TV-Gala zum Deutschen Fernsehpreis. Die Branche feiert ihre Best Practice-Projekte. Ohnehin bewegt sich auf dem Markt für bewegte Bilder gerade einiges. Kick-Media-Vorstandschef Alexander Elbertzhagen beobachtet die aktuellen Entwicklungen inklusive der Übernahme von ProSiebenSat.1 durch den Berlusconi-Konzern MFE.
Liebe Freundinnen und Freunde des smalltalk,
nächste Woche wird in Köln der Deutsche Fernsehpreis verliehen. Da geht es um das Beste aus linearem Fernsehen und die Top-Leistungen der Streamer, wobei die Grenzen zwischen beiden Bereichen immer schwerer zu ziehen sind. Klassische lineare Sender und Streaming-Unternehmen gleichen sich systemisch einander an, so Produzent Wolf Bauer in seiner Eigenschaft als Jury-Vorsitzender im Vorfeld der Verleihung. Längst verfügen die Sender über eigene Streaming-Plattformen und bei den Streamern gibt es lineare Tendenzen.
Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die in dieser Woche veröffentlichten Zahlen einer aktuellen Bitkom-Studie nicht ganz so spektakulär wie die daraus abgeleiteten Überschriften: „Streaming überholt klassisches Fernsehen in Deutschland“ (stern.de). So neu und anders ist das nicht, schließlich wird auch lineares Fernsehen längst gestreamt.
Bedenklich ist dagegen, was Bernd Nauen, der Geschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW), kürzlich der dpa sagte. Demnach fließt hierzulande mehr als die Hälfte der Werbegelder in Online-Werbung. Und dort dominieren vor allem US-amerikanische Plattformkonzerne. Von den im vergangenen Jahr insgesamt 26,7 Milliarden investierten Euro landeten fast 14 Milliarden im Netz. Die Kollegen von Print, Fernsehen, Radio, Kino, Außenwerbung und Werbepost spüren das deutlich und müssen sich teilen, was übrigbleibt.
Vor allem für Medien, die sich überwiegend durch Werbung finanzieren, rächt sich jetzt, dass wir es in Deutschland nicht geschafft haben, entsprechende große Plattformen zu etablieren, die Werbegelder an sich ziehen. Jahrzehnte zurückliegende Engagements von Siemens oder Metro (manch einer mag sich noch an Metro-Net erinnern) verliefen im sprichwörtlichen Sande. Auch die deutsche Suchmaschine Fireball hat sich nicht wirklich durchsetzen können. Heute teilen Amerikaner und Chinesen den Markt untereinander auf.
Traditionsreiche große Medienhäuser verschwinden – siehe Gruner + Jahr. Oder sie erschließen neue Geschäftsfelder. Beispielsweise kaufte der Bauer-Verlag in diesem Jahr den Außenwerber Clear Channel Europe-North. Axel Springer betreibt u.a. die Preisvergleichsplattform Idealo und macht außerdem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu eigenen Marken. Zum Beispiel die stellvertretende „Bild“-Chefredakteurin Tanja May oder den Kriegsreporter Paul Ronzheimer.
Deutsche Medienhäuser warten jedenfalls nicht mehr, bis es zu spät ist. Angesichts der geplanten Übernahme von Sky durch RTL Deutschland freute sich der für Kultur und Medien zuständige Staatsminister Wolfram Weimer in einem DWDL-Interview über die Möglichkeit einer deutschen Plattform von namhafter Größe, die dann im internationalen Wettbewerb standhalten könnte.
Und dann ist da natürlich die Nachricht von Donnerstag, wonach die italienische Aktiengesellschaft Media for Europe (MFE) mit Sitz in Amsterdam nun über 75 Prozent der Anteile von ProSiebenSat.1 übernommen hat. Zuvor hatte es in Berlin ein Treffen zwischen Konzernchef Pier Silvio Berlusconi und Wolfram Weimer gegeben. Dabei versprach der Gast aus Mailand, „die Verankerung von ProSiebenSat.1 in Bayern, in Deutschland und im gesamten deutschsprachigen Raum“ zu stärken. Dazu gehöre auch der Ausbau deutscher Eigenproduktionen. Ziel sei letztlich eine „große pan-europäische Plattform“.
Aus Sicht des „Spiegel“-Morning-Briefings vom Donnerstag war das Treffen eine „zweischneidige Aktion von Weimer“. Autorin Melanie Amann fragt zu Recht: „Mit welcher Legitimation zitiert ein Regierungsmitglied einen privaten Investor zu sich, um ihm eine Lektion über Medienethik zu erteilen?“
Nun ja, wenn der Plan von der pan-europäischen Plattform aufgeht, käme es zu einer weiteren Konzentration des Werbemarktes. Aber eben in europäischen Händen. Die Frage, welche politischen bzw. gesellschaftspolitischen Folgen das Engagement der Familie des 2023 verstorbenen früheren italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi haben wird, lässt sich jetzt nicht beantworten. Bislang scheint Berlusconi junior nicht in der Politik aktiv zu sein. „Ich habe derzeit keine solchen Pläne, will es für die Zukunft aber nicht ausschließen“, zitierte ihn im August die „FAZ“.
Fusionen und Übernahmen dieser Art wurden jahrzehntelang durch das Bundeskartellamt verhindert. Auch zum Schutz bzw. zur Förderung deutscher Medienhäuser. Eine Zeitlang war das völlig in Ordnung. Doch längst ist dieses Prinzip aus der Zeit gefallen. Es schwächt Medien in Deutschland und stärkt US-amerikanische Konzerne.
RTL/Sky und ProSiebenSat.1 im von Berlusconi und Weimer angepeilten pan-europäischen Verbund sowie natürlich die Öffentlich-Rechtlichen könnten ein relevantes Gegengewicht bilden. Vor allem die Aussicht auf eine Stärkung heimischer Inhalte dürfte die Produzentenbranche freuen. Und da muss bekanntlich dringend etwas passieren.
Einstweilen wünsche ich Ihnen ein weiterhin schönes Wochenende!
Alexander Elbertzhagen
(Herausgeber smalltalk)