Kolumne Auf dem Reeperbahn Festival in Hamburg kann man noch bis Samstag erleben, was derzeit an neuer spannender Popmusik auf uns zukommt. Zahlreiche junge, noch unbekannte Acts treten auf – aber auch bekannte Stars nutzen hier die Gelegenheit, mit ihrem Publikum in Kontakt zu treten. So gab sich am Mittwochabend überraschenderweise auch Nina Chuba die Ehre. Kick-Media-Vorstandschef Alexander Elbertzhagen schaut sich beim Reeperbahn Festival um und spricht einige der bislang ungelösten Fragen der Musikbranche an. (Foto © Lisa Meinen)

20. September, 2025

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Auf’m Reeperbahn Festival nachts um halb eins

Auf dem Reeperbahn Festival in Hamburg kann man noch bis Samstag erleben, was derzeit an neuer spannender Popmusik auf uns zukommt. Zahlreiche junge, noch unbekannte Acts treten auf – aber auch bekannte Stars nutzen hier die Gelegenheit, mit ihrem Publikum in Kontakt zu treten. So gab sich am Mittwochabend überraschenderweise auch Nina Chuba die Ehre. Kick-Media-Vorstandschef Alexander Elbertzhagen schaut sich beim Reeperbahn Festival um und spricht einige der bislang ungelösten Fragen der Musikbranche an.

Liebe Freundinnen und Freunde des smalltalk,

für Musikerinnen und Musiker aus aller Welt ist St. Pauli die Schule der Härte. Das war einst bei den Beatles so und hörte bei Ed Sheeran nicht auf. Während des Reeperbahn Festivals des Jahres 2011 begeisterte Letzterer in der Bar des East Hotels ein 20-köpfiges Publikum. Dieser spontane Auftritt soll die Initialzündung für seinen ersten großen Plattenvertrag gewesen sein. Heute ist Sheeran bekanntlich ein Weltstar – der mit seinem neuen Album „Play“ gerade auch in Deutschland Platz 1 der Charts belegt. Kolleginnen und Kollegen wie Rag’n‘Bone Man, Lewis Capaldi, Jake Bugg, Ayliva, Ikkimel oder Zartmann diente das Reeperbahn Festival ebenfalls als Karrierebooster.

Gute bis sehr gute Musik gibt es auch bei der diesjährigen, insgesamt 20. Ausgabe. Seit Mittwoch und noch bis heute Abend sind an 65 Spielorten insgesamt über 400 Künstlerinnen und Künstler am Start. Zu den Höhepunkten zählte sicherlich Superstar Nina Chuba mit ihrem Überraschungsauftritt auf dem Heiligengeistfeld am Mittwoch. Abgesehen davon hatte meiner Meinung nach die „Reeperbus“-Bühne von Radio N-Joy auf dem Spielbudenplatz die besten Acts.

Hier aber auch an anderer Stelle haben vor allem junge, noch unbekannte Acts die Chance auf den Auftritt ihres Lebens. Ein Plattenvertrag, ein Deal – wenn nicht hier, wo dann? Auf der Reeperbahn nachts um halb eins – ob du’n Deal hast oder ob keinen… Darum geht’s in diesen Tagen, um es mal mit Hans Albers zu sagen, nach dem ja in unmittelbarer Nähe ein Platz benannt wurde (einen Beatles-Platz gibt es übrigens auch).

Wenn ich mich auf dem Festival so umgucke, fällt allerdings auf, dass das Publikum nicht sehr viel jünger geworden ist. Und das, obwohl die Veranstalter die Ticketpreise ganz bewusst nicht angehoben haben. Überwiegend Menschen ab 30 beherrschen die Szenerie. Möglicherweise haben die Jungen während der Corona-Zeit nicht gelernt, was es heißt, Musik live zu erleben. Schade für sie, schade für die Musikerinnen und Musiker und schade für die Branche. Denn gerade jetzt sind neue Impulse gefragt. Aber davon können auch andere Wirtschaftszweige ein Lied singen.

In dieser Situation ist das Reeperbahn Festival enorm wichtig. Denn es fördert die Innovation. Und auf die ist eben auch die Musikbranche extrem angewiesen. Im Norden nichts Neues? Das wäre fatal. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass das Festival selbst gefördert wird. Von der Stadt Hamburg und vom Bund gibt es zusammen 9,1 Millionen Euro. Das ist gut angelegtes Geld. Denn Popmusik und Popkultur erfreuen einerseits die Menschen und treiben andererseits die Wirtschaft an. Labels, Veranstaltungsfirmen, Musikalienhandel, Verlage und andere Marktteilnehmer leben davon.

Was allerdings alle umtreibt, ist die Frage nach der Zukunft. Vor allem Musikaufnahmen, also der Bereich „Recorded Music“, bereitet in Zeiten, in denen physische Tonträger eine zunehmend marginale Rolle spielen, Sorgen. Junge Künstlerinnen und Künstler und ihre Fans begegnen sich überwiegend im Netz. Dementsprechend setzen die Labels dementsprechend auf TikTok-Acts. Sie zählen Streams und kämpfen gegen den eigenen Bedeutungsverlust an. Irgendwie stecken alle in einem Teufelskreis. Auf dem Reeperbahn Festival herrscht jedenfalls eine gewisse Ratlosigkeit.

Wie kann man in Zukunft mit Recorded Music noch Geld verdienen? Zurzeit setzt man immer häufiger auf aufwendige Boxen, in denen man dem geneigten Fan neben CDs oder Vinylscheiben auch noch ein T-Shirt, Socken und/oder eine Kappe angedeihen lässt. Längst sind diese Bundles entscheidend für eine gute Charts-Platzierung. Das funktioniert vor allem mit Schätzen aus dem Backkatalog ganz gut. Doch was ist, wenn auch die Schatztruhen der glorreichen Vergangenheit restlos rausgekratzt wurden?

Wirklich überzeugende Antworten gibt es bislang nicht. Sicher ist nur, dass die Zeiten für alle schwieriger werden, die mit Musik Geld verdienen wollen. Ganz gleich ob mit aufgenommener oder live gespielter Musik. Denn auch die Ticketpreise und die Kosten für Konzerte oder Festivals sind zum Teil gewaltig. Immer mehr Festivals werden abgesagt. Gleiches gilt für Stadtfeste. Auch viele Einzelkonzerte werden weniger gut verkauft. Hinzu kommt auf der künstlerischen Seite: Immer weniger Newcomer sind in der Lage, mindestens eine Stunde lang live zu spielen.

Die Zeit bleibt nicht stehen. Auch nicht für die Musikbranche. Für einige ist es fünf vor, für andere wohl schon fünf nach zwölf. Aber auf der Reeperbahn ist und bleibt eine Zeit bekanntlich besonders beliebt: nachts um halb eins.

Nun aber wünsche ich Ihnen ein weiterhin schönes Wochenende!

Alexander Elbertzhagen
(Herausgeber smalltalk)

PS: Beim Gang über die Reeperbahn frage ich mich: Ist das immer noch die berühmte „Geile Meile“, die Udo Lindenberg einst besungen hat? Wenn ja, dann ist das vielleicht der Grund, warum Eltern ihren Nachwuchs nicht aufs Reeperbahn Festival lassen. In jeden Fall ist es dort ganz schön schmuddelig. Und überall stehen Schilder: „Waffen verboten“. Aber keine Angst, die wollen nur spielen!

PPS: Kann mir eigentlich jemand sagen, wie man sich fünf Tage lang anständig waschen soll, wenn man ständig diese Festival-Bändchen am Handgelenk trägt? Vielleicht wissen die Freundschaftsbändchen tragenden Fans von Taylor Swift oder Wolfgang Petry Rat.

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